Loas Schnitzel
Die volle Pracht
MIT JEDEM SCHRITT, DER AUF DEM WEG ZUR LOAS IN DEN SCHNEE GESETZT WIRD, RÜCKT EINE INNERE RUHE NÄHER, DIE SICH DANN IN DER PRACHTVOLLEN KULISSE AUSBREITEN DARF. EIN ECHTER KRAFTPLATZ IST DAS.
Ein Pferd sollte nicht von hinten aufgezäumt und eine Geschichte auch nicht von hinten erzählt werden, doch in dem Fall sei’s erlaubt. Weil dieser Moment den Sinn so schön auf den Punkt bringt. Wer sich an einem klaren Wintertag oben am Loassattel um seine eigene Achse dreht, der weiß, worum es geht. Das Auge verlangsamt gezwungenermaßen die Drehung, weil es sich nicht am Karwendelgebirge sattsehen kann, das sich von hier aus so stolz und mächtig präsentiert, dass die Superlative sich zu überschlagen drohen. Auch eingefleischte Bergmenschen, TirolerInnen, die mittendrin aufgewachsen und aus Gewohnheit scheinbar immun gegen derartige alpine Hochgefühle sind, müssen angesichts dessen kurz innehalten. Und ein stilles Dankeschön sagen.
Wird die Drehung fortgesetzt und der Impuls, von hier aus das Kellerjoch oder den Gilfert zu erobern, vom Schnee unterdrückt, ist es die Öffnung ins nahe Zillertal, die neuerlich innehalten lässt. Das Skigebiet Hochfügen sendet bildhafte Signale eines touristischen Universums, das wie ein absoluter Gegenpol wirkt zum Hier und Jetzt. So entfernt ist dieses trubelhafte Halligalli, dass es die Ruhe nicht zu stören vermag, wohl aber die Gewissheit mit einer kitschigen Zierleiste unterstreicht, dass keine zehn Pferde einen dazu bringen würden, mit einem der bunten Punkte auf den Pisten tauschen zu wollen. Heute nicht. Die Gewissheit, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, stellt sich schon ein, wenn das Auto am Parkplatz an der Straße kurz vor Pillberg mit dem Klick des Funkschlüssels hinter sich gelassen wird. Schon hier beschleicht einen die Ahnung, was diese Winterwanderung bereithalten könnte. Liegt viel Schnee – und davon kann aufgrund der Seehöhe des Ausgangspunktes von etwa 1.300 Metern fast fix ausgegangen werden –, dann garantiert die Forststraße, nicht im kühlen Weiß einzusinken, sondern einen Rhythmus zu finden, der das innere Lot Schritt für Schritt beruhigt.
ZWEI WEGE, EIN ZIEL
Liegt weniger Schnee, kann die Wanderung in Richtung Loas auch über den knapp 200 Meter oberhalb startenden „Weg der Sinne“ begonnen werden. Start ist für diesen Rundweg, der von zahlreichen Künstlern gestaltet wurde und „6.220 Schritte für die Seele“ verspricht, eigentlich das falsche Wort, gibt es doch für einen Kreis, und sei er aufgrund der Topografie auch noch so unregelmäßig, weder Anfang noch Ende. Wird der Weg jedoch gewählt, um zur Loas zu gelangen, muss darüber nicht nachgedacht werden. Ob hier oder dort, das Ziel ist so klar wie der Himmel, der sich anfangs noch über den Bäumen versteckt. Langsam, in homöopathischen Dosen wird das Gemüt darauf vorbereitet, was da kommt. Die Steigung der Forststraße ist stets leicht, ein angenehmer Winkel sorgt dafür, nicht außer Atem zu kommen oder gar mit zu rasch eingeatmeter, kalter Luft die Bronchien zu schockieren. Alles ist sanft. Die Atmung, die Steigung, der Schnee am Waldboden und auf den Bäumen. Es lässt sich gut schweigen, es lässt sich gut reden und stehen bleiben muss ein jeder, wenn sich der erste Blick auf das Inntal auftut. Innsbruck scheint gefühlte Lichtjahre weit weg zu sein und wirkt angesichts der sich langsam auftürmenden Berge des Karwendels fast winzig. Wie gut, dass dieser Gebirgszug den Norden der Landeshauptstadt markiert. Andersrum wäre die Stadt wohl ein schattiges Trauerspiel. Oder sie hätte sich um den Bergisel herum entwickelt.
EIN GUTES GEFÜHL
Spätestens, wenn sich die Fantasie so hoffnungslos um Erd-, Berg- und Siedlungsgeschichte verheddert, wird bewusst, dass der Kopf frei geworden ist. Irgendwo zwischen den Bäumen und Schneemauern am Rande des Weges sind die Gedanken des Alltags hängen geblieben, sind dahingeschmolzen wie Schnee auf der Stirn. Ein gutes Gefühl ist das. Richtig gut. Derart zufrieden mit sich und der Welt kann wieder in den Schrittrhythmus zurückgefunden werden, der erst ins Stocken gerät, wenn kurz vor dem Alpengasthof Loas die Beine vermelden, dass es steiler wird. Dieses letzte Stück holt einen wieder auf die Erde zurück. Nicht, weil es allzu anstrengend wäre, sondern weil sich mit dem schönen, alten Haus, das einen aus der Ferne anzulächeln scheint, auch irdische Gelüste breitmachen. Sie wegen der fast naturtrunken machenden Wanderung oder der Erhabenheit des Kraftplatzes als profan zu bezeichnen, wäre falsch, bildet die lukullische Rast auf rund 1.650 Metern Höhe doch wieder einen Höhepunkt.
Mit in der Wärme der Stube erröteten Wangen und sich langsam vom letzten Schneeball erholenden Fingern darf die Speisekarte durchforstet werden. Vieles klingt verlockend, doch obwohl die Schrift weder größer noch in einer anderen Farbe gehalten ist, ist es das Wiener Schnitzel, das ins Auge springt. Ja, ein Loasschnitzel muss es sein.
DAS LOASSCHNITZEL
„Das hat eine lange Tradition. Das war schon beim Vater so“, sagt Werner Wimpissinger, Hüttenwirt im Alpengasthof Loas und Küchenkönig des berühmtesten Schnitzels zwischen Karwendel und Tuxer Alpen. Seit zehn Jahren trägt er diese Verantwortung mit Würde und dem dazu notwendigen Spaß am Herd. Werner ist in der Loas aufgewachsen – mehr oder weniger. „Wir waren immer in den Ferien und an den Wochenenden da“, erzählt er mit Blick auf die „Abwesenheiten“ in der Schulzeit. „Da wächst man rein, wie das halt so ist. Es geht fließend.“ Fließend war der Übergang vom Vater zum Sohne und fließend sind die Bewegungen, mit denen er das Schnitzel zubereitet, für das im Sommer nicht wenige Kenner die Wanderung sausen lassen, um von der Lust getrieben unsportlich direkt zur Hütte zu fahren.
Was ist das Geheimnis des Loasschnitzels? „Das Schwein. Das Schneiden. Das Klopfen und es dann am offenen Herd rauszubrutzeln“, verrät er. So selbstverständlich wie seine Griffe von der Hand gehen, so selbstverständlich ist der Griff zu Messer und Gabel, wenn das Schnitzel vor einem auf dem Teller liegt. Mag der Teller auf der Loas auch nie eine natürliche Grenze für das Schnitzel markieren – der erste Schnitt gelingt stets leicht und mit dem ersten Biss in die knusprige Hülle, die das zarte Fleisch ummantelt, atmet der ganze Körper auf. Ja, darum ist dieses Schnitzel so berühmt. Es ist so rundum prächtig wie das Panorama, das den Alpengasthof umgibt und das ein Stück weiter des Weges, am Loassattel oben, ein eindrucksvolles Dessert bereithält. Und leicht geht es einem über die Lippen: Das stille Dankeschön.