Die Bayern

brandschatzten Schwaz

ABER: EIN BAYER RETTETE DIE PFARRKIRCHE…

„FEUER“, „HILFE“, „ES BRENNT!“, „RETTE SICH, WER KANN!“, „KINDER, LAUFT!“, „HERRGOTT HILF!“, „SCHAU – JETZT BRENNT SCHON DAS NÄCHSTE HAUS“, - die Dramatik muss unbeschreiblich gewesen sein, an diesem schicksalhaften 15. Mai 1809. Gegen 16 Uhr stiegen erste Rauchsäulen über Schwaz auf, am 17. Mai war der Ort eine einzige, riesige Brandruine. Bis nach München sah man in der Nacht den über Schwaz und Vomp liegenden Feuerschein. 304 Gebäude (darunter der Tannenbergpalast, das Bergdirektoratsgebäude, das neue Schulhaus, das Bürgerspital), zwei Kirchen (Spitalkirche und Bruderhauskirche), 97 Scheunen und Viehställe, die Fleischbank, sechs Getreidemagazine und eine Malzdörre, zusammen 411 Baulichkeiten, fielen dem Feuer zum Opfer. Zwei wichtige Objekte blieben von dem Feuersturn verschont: das Franziskanerkloster – die Flammenhölle hatte sich schon an die Klostermauern herangearbeitet, dann drehte plötzlich der Wind (was damals als „Wunder“ eingestuft wurde) – und die Pfarrkirche Maria Himmelfahrt. Es war – man höre und staune - ein Bayer, also einer der brandschatzenden Feinde, der dieses einzigartige Bauwerk rettete. Die Flammen hatten bereits den Übergang vom (brennenden) Palais Enzenberg („Grafenbogen“) in die Pfarrkirche erreicht. Besagter Soldat löschte den noch kleinen Brandherd – die Kirche blieb verschont.

Schwazer Altstadt

BAYERN?
ES WAREN DOCH DIE

Truppen Napoleons,

DIE EUROPA ÜBERROLLTEN UND
SCHRECKEN UND ELEND
VERBREITETEN.

 

Stimmt! – Aber die Nachbarn der Tiroler, eigentlich waren sie – als Nachfahren der Bajuwaren - ja sogar Stammesbrüder – waren Bundesbrüder Napoleons geworden und dafür fürstlich belohnt worden. Österreich, England und Russland hatten 1805 in der Schlacht von Austerlitz gegen die napoleonischen Truppen eine schwere Niederlage hinnehmen müssen. Beim Frieden von Pressburg fielen Tirol und Vorarlberg an Bayern, das sich aufgrund französischen Druckes Napoleon angeschlossen hatte und damals zum Königreich aufstieg. Und so flatterte die bayerische Fahne von 1806 bis 1814 auch in Tirol (außer in den Monaten im Jahre 1809, in denen die Feinde aus dem Land geworfen wurden). Die Besatzer begannen in weiterer Folge, eine Reihe unpopulärer Reformen umzusetzen. Die traditionelle Selbstverwaltung wurde abgeschafft (sogar der Name „Tirol“ verschwand), die Zentralregierung verbot traditionelle Bräuche, führte die allgemeine Wehrpflicht ein, außerdem sollten Tiroler Rekruten für Napoleons Heere ausgehoben werden. Kurzum – die Lunte für die folgenden Freiheitskriege war gelegt. Umso mehr, als ja auch die Tiroler bei früheren Waffengängen und Einfällen in Bayern nicht glimpflich mit den damaligen Feinden umgegangen waren und der gegenseitige Hass deshalb groß war.

Zurück zu den Schicksalstagen vom Mai 1809. Damals zog General Wrede mit einer Armee, die 12.000 bis 15.000 Mann umfasste (davon mindestens 4000 Mann Kavallerie) brandschatzend durch das Unterinntal Richtung Schwaz. Dort stießen die Eindringlinge auf heftigen Widerstand. Dr. Hans Seewald („Der Brand von Schwaz“) schildert die dramatischen Stunden: „Drei Mal stürmten die Bayern durch die Hauptstraße des Dorfes Schwaz bis zur Lahnbachstellung nahe der Pfarrkirche, ebenso oft aber mussten sie zurück. Jedes Haus schien in eine kleine Zitadelle verwandelt, die Fenster waren die Schießscharten, aus denen man feuerte, und von den Dächern regnete es einen Hagel von Steinen. Erst ein vierter Ansturm ließ Wrede des Marktes Meister werden. (…) Während Wrede im Schnapperwirtshaus im Dorf mit seinen Offizieren ein Siegesmahl veranstaltete, begannen seine Soldaten, über den heftigen Widerstand und die großen Verluste erbittert, mit einer Plünderung selten gesehenen Ausmaßes. Die Bayern streiften durch alle Gassen, drangen in alle Häuser, durchsuchten alle Einwohner vom Kopf bis zum Fuß, rissen ihnen die Kleider vom Leibe, die ihnen gefielen. Sie wüteten im Palais Tannenberg genauso wie in den elenden und dürftigen Knappenhütten. Wo den Bayern ein Mädchen in die Hände lief, wurde es misshandelt. Viele, die sich widersetzten oder fliehen wollten, wurden gänzlich entkleidet und nackt wie Freiwild durch die Gassen des Marktes gejagt. Zahlreiche Frauen und Mädchen wurden am hellen Tage mitten auf den Gassen und Plätzen geschändet, über hundert Mädchen ins bayrische Lager nach Vomp geschleppt und dort vergewaltigt.“ Dazu ist anzumerken, dass Wrede vom Grafen Tannenberg mehrere Tausend Gulden Lösegeld genommen und dafür Schonung des Marktes versprochen hatte. Offensichtlich dachte Wrede nie an Schonung, denn bayerische Soldaten erzählten später, dass sie strenge Order hätten, den Ort in Brand zu stecken. Die Folgen des Brandes drücken sich in der Bevölkerungsentwicklung nieder. 1808 zählte der Markt Schwaz 7500 Einwohner, im Jahre 1810 nur noch 3869. In der Statistik von 1828 scheinen gar nur noch 3008 Einwohner auf. Gottlob – die Zeiten haben sich geändert, Bayern und Tiroler sind längst wieder gute Freunde…

Den Brand von 1809 überstanden laut Seewald im ehemaligen Geschäftsund Gewerbeviertel nur an die 15 Häuser unbeschadet. Und – damit sind wir wieder beim Beginn – die Pfarrkirche. 

Schwazer Pfarrkirche

Sie ist die größte gotische Hallenkirche Tirols. Klotzen, nicht kleckern war zur Bauzeit angesagt, Schwaz war ja zur Blütezeit des Bergbaus nicht nur der größte Ort Tirols (ca. 20.000 Einwohner), sondern auch der zweitgrößte im heutigen Österreich. Innsbruck, schon damals Landeshauptstadt, zählte mickrige 5000 Einwohner.

Die besondere Architektur des Gotteshauses geht auf die damalige Bevölkerungsexplosion zurück. Die in den Jahren von 1460 bis 1478 unter Leitung von Hans Mitterhofer und dessen Sohn Gilg errichtete dreischiffige Hallenkirche erwies sich nämlich schon nach wenigen Jahren als viel zu klein und so wurde bereits 1490 der Beschluss zur Vergrößerung gefasst. Der Münchner Architekt und Bildhauer Erasmus Grasser hatte die zündende Idee, dem Hauptschiff ein gleich großes anzudocken, womit sich – mit den zwei Seitenschiffen - besagte vier Schiffe ergaben. Außerdem wurde die Mitterhofer-Kirche um zwei Joche verlängert. Die zwei Hauptschiffe waren nicht nur eine architektonische Besonderheit – sie entsprachen auch der damaligen gesellschaftlichen Struktur des Ortes: es gab keine einheitliche Gemeindeverwaltung, sondern die einem Bergrichter unterstellten Knappen und die nicht im Bergwerk tätigen Bürger, die dem Landrichter unterstanden. Das nördliche Langschiff blieb den Bürgern vorbehalten, der Südchor den Knappen. Offensichtlich waren sich beide Gruppen nicht einmal in der Kirche besonders grün – entlang der mittleren Säulenreihe wurde nämlich eine 1,5 Meter hohe Trennwand aus Holz angebracht. Die Holzwand ist längst entfernt und – leider – auch der gotische, 18 Meter hohe Hochalter des Nürnberger Künstlers Veith Stoß, der heute garantiert Weltkulturerbe wäre. 1166 Gulden hatten ihm die Schwazer bar auf die Hand gezahlt. Er fiel der Barockisierung der Kirche zum Opfer. Am Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Kirche wieder regotisiert, aus dieser Zeit (1910) stammt der neugotische Hauptaltar.

Betritt man die Kirche durch den Haupteingang an der eindrucksvollen Westfassade, die wie eine riesige Kulisse die Franz-Josef-Straße abschließt, ist der Taufstein aus Kramsacher Marmor (1470) erster Blickfang. Der barocke Orgelprospekt, die Reste der gotischen Glasfenster und die neuen von Prof. Fred Hochschwarzer (1914 bis 1990), die Seitenaltäre (die sitzende Madonna am Firmianaltar stammt aus dem 15. Jahrhundert), der Kreuzaltar, das Fürstenchörl mit den 14 Wappen der Ländern von Kaiser Karl V., die Epitaphe für Ulrich Fugger und Hans Dreyling, die marmornen Grabplatten für Christian Tänzl und Anna Hofer – es gibt viel zu sehen in der Schwazer Pfarrkirche. Zu besonderen Anlässen ist ein Aufstieg in den fünfstöckigen Dachstuhl möglich. Ein ganzer Wald wurde dafür bei Telfs geschlagen. Und gedeckt ist die Kirche mit 15.000 Kupferplatten, in den Schwazer Stollen – 500 Kilometer soll das Stollennetz insgesamt lang sein -, wurde ja weit mehr Kupfer, nämlich 70 Mal so viel, als Silber abgebaut. Anmerkung: diese Kupferlast auf dem Dach der Pfarrkirche wiegt rund 150 Tonnen und – es sei ebenfalls erwähnt:

AUCH DIE
2.657 VERGOLDETEN
SCHINDELN DES

Goldenen Dachls

IN INNSBRUCK
HABEN EINEN KERN
AUS SCHWAZER KUPFER.

Ach ja – und da gibt es noch die zwei Türme. Der Original-Turm hängt einen Meter nach Norden über, schon 1558 wurde festgehalten, dass er „schadhaft und erschüttert“ ist. Da die Zentralkommission in Wien 1904 das Läuten verbot, wurde an der Ostecke das Friedhofs (heutiger Stadtpark) in den Jahren 1910/1911 ein neuer Turm errichtet, der nun das Läutwerk (darunter die berühmte „Maria Maximiliana“, gegossen 1503 von Peter Löffler, sie ist eine der größten historischen Glocken Tirols) birgt.

Ein sakrales Kleinod ist die der Pfarrkirche im Norden vorgelagerte, zweistöckige Totenkapelle. Über dem hinteren Portal ist eine Tafel aus dem Jahre 1506 eingelassen, die uns unser Vergänglichkeit vor Augen führt. „Hier liegen wir alle gleich, Edel, Ritter arm und auch reich“, ist da zu lesen. Kröten, eine Eidechse und eine Schlange sind – als Symbole der Verwesung - in den Stiegenaufgang zur oberen „Veitskapelle“ herausgemeißelt. In der Kapelle steht mit dem im Jahre 1511 errichteten Altar das prachtvollste Werk der Spätgotik, das sich in Schwaz erhalten hat. Schöpfer war der Allgäuer Bildschnitzer Christoph Scheller.

Und noch ein „Anbau“ sei erwähnt: das „Grafenhaus“, also das Palais Enzenberg, zu welchem ja – in luftiger Höhe – durch den eingangs erwähnten „Grafenbogen“ ein direkter Zugang in die Kirche bzw. zur Orgelempore führt. Durch diesen um 1520 errichteten Gang erreichten die Mitglieder der Gewerkenfamilie Tänzl, in deren Besitz das Palais damals war, trockenen Fußes ihren Betstuhl auf der Empore. Die Rede ist von jenem Gang, in welchem bereits erste Flammzungen loderten, die von einem Feind gelöscht wurden…

@ Peter Hörhager

Stadtführung im Dachstuhl