Arrest für einen Kardinal

und Todesstunde des letzten Bären

WOLFSKLAMM – ST. GEORGENBERG – STALLENTAL

Uuuuuuuoooo, Ouuuuuuuuu – Auch wenn es jetzt einige vermuten mögen: die Einleitung ist keine fehlgeleitete Tastenkombination. Es ist der Versuch, Wolfsgeheul in Buchstaben zu fassen. Es geht ja in der folgenden Geschichte – auch – um die Wolfsklamm. Und da die spektakuläre Schlucht nun einmal so heißt, darf man davon ausgehen, dass der Name seinen Grund hat. Warum soll
es dort keine Wölfe gegeben haben? Es haben sich dort ja auch Bären herumgetrieben. Das Schicksal des letzten in Nordtirol lebenden Bären ist sogar in diese Geschichte eingebunden. Aber davon später….
Zurück zur Wolfsklamm.

Wolfsklamm

354

Stufen

„DIE KLAMM IST MIT
IHREN 354 STUFEN WOHL
die schönste
ihrer Art
IN DEN ALPEN“,
HEISST ES NICHT GANZ
UNBESCHEIDEN IN EINER
ÖRTLICHEN BESCHREIBUNG.

Wasserfall in der Wolfsklamm

Übertreibung oder nicht – einzigartig ist sie allemal, diese enge Schlucht mit ihren tosenden Wasserfällen und steil aufragenden Felsen, die durch teilweise in das Gestein getriebene oder direkt über die talwärts brausenden Wassermassen angelegte Stege erschlossen ist. Unglaublich – bereits vor mehr als hundert Jahren haben weitblickende Stan(s)er erkannt, dass diese vom Stanerbach im Auslauf des Stallentales kreierte Felsen-Wasserwelt ihresgleichen sucht. Sie legten einen ersten Steg an, der am 11. August 1901 eröffnet wurde. Das Manko dabei: er endete bei den beiden Wasserfällen im oberen Drittel der Schlucht. 1912 wehrte sich der Bach erstmals gegen die menschliche Eroberung. Im Klartext: Hochwasser riss die Brücken und Stege mit. Die die Schönheit der Schlucht entdeckten Zweibeiner gaben sich nicht geschlagen. Am 4. Oktober 1936 wurde der neue, nun durch die gesamte Klamm führende Aufstieg eröffnet. Der Ringkampf Mensch – Natur zog sich über mehrere Runden. In mehr oder weniger großen Interwallen rissen der Staner Bach oder Lawinen Teile der von Menschenhand geschaffenen Infrastruktur in die Tiefe. Das Jahrhunderthochwasser im Jahre 1950 zerstörte mehr oder weniger alle Stege und Brücke sowie das im Jahre 1932 im Auslauf der Klamm errichtete Elektrizitätswerk. Am 16. Juni 1957 wurde die Wolfsklamm zum dritten Mal eröffnet und blieb seither zugänglich, wobei fast alljährlich Beschädigungen durch Wasser und/oder Schnee ausgebessert werden mussten bzw. müssen. Wenn man die Klamm bewältigt hat, folgt dem Natur- ein Kulturerlebnis. Das Felsenheiligtum St. Georgenberg. Der endgültige Zugang zum Wallfahrtsort ist ein spektakulärer. Er führt über die „hohe Brücke“. Ihre Bauweise und ihr Alter machen diese Brücke zu einer architektonischen Besonderheit. Von einem gemauerten Steinbogen streben vier Steinpfeiler in die Höhe, denen Fachwerkbauten aufgesetzt sind, welche die überdachte Brücke tragen. Der aus Felsquadern errichtete Unterbau stammt aus dem Jahre 1515. Die Holzkonstruktion wurde 1705 beim vierten Brand von St. Georgenberg ein Raub der Flammen und 1708 erneuert. Vor rund hundert Jahren erhielt das Torhaus seine Zinnen, vorherthronte über dem Brückeneingang tatsächlich ein Haus, in dem der Torwächter wohnte.

Ja, und dann blickt man auf zwei Kirchen. Auf die Wallfahrtskirche samt Zubauten und – rechts am Berghang – auf die „Urkirche“ von St. Georgenberg, auf die Lindenkirche. Die Kirche „zu unserer Lieben Frau unter der Linde“, wie sie mit vollem Namen heißt, ist einen Besuch wert. Im Zuge der jüngsten Restaurierungsarbeiten stieß man in der Kirchendecke auf Fresken des Barockkünstlers Christoph Anton Mayr (1720 – 1771), die nun zum Teil freigelegt wurden und deren besterhaltene Szenen ausgebessert wurden und nun sichtbar bleiben. Die Geschichte von Georgenbergreicht in die Zeit um 950 zurück. Damals errichtete der selige Rathold von Aibling für eine kleine Mönchsgemeinschaft eine erste Kapelle samt Kloster. Auf diese alte Historie

bezog sich auch ein legendärer Satz von Abt Albert Grauß (1895 – 1973) anlässlich der Aufhebung des Klosters St. Georgenberg/Fiecht durch das Nazi-Regime im Jahre 1941, das ja vom „tausendjährigen Reich“ träumte. „Wir haben die tausend Jahre schon hinter uns“, rief der Ordensobere den Gestapo-Schergen entgegen. Zurück zur Urgeschichte. Das Kloster wurde 1138 zu einer Benediktinerabtei erhoben und erhielt alsbald umfangreiche Ländereien im Inntal und Achental (inklusive Achensee). Es wurde eine vielbesuchte Wallfahrtsstätte und war die Grabstätte der Herren von Schlitters, von Rottenburg und anderer adeliger Wohltäter. 1450 wurde dem Stift ARREST FÜR EINEN KARDINAL von Kaiser Friedrich III. das Asylrecht verliehen, an das noch die Freiungssäule, die im Volksmund genannte „Weiß-Marter“ am Weg nach Georgenberg erinnert. Verheerende Brände in den Jahren 1284, 1448 und 1637 erforderten umfangreiche Neubauten. Von 1619 bis 1622 war das Kloster übrigens auch Gefängnis. Kardinal Melchior Khlesl, Bischof von Wien und Kanzler von Kaisers Matthias II. (Enkel Kaiser Karls V.) und als solcher graue Eminenz im Reich, fiel nach dem Tod des Kaisers bei dessen Brüdern Ferdinand (dem nachmaligen Kaiser) und Maxilian dem „Deutschmeister“ in Ungnade und wurde verhaftet. Wegen seiner exponierten Lage wurde St. Georgenberg als ideale Haftanstalt auserkoren. Wegen des prominenten Gefangenen bzw. um dessen Befreiung zu verhindern wurden die Pilger aber rigorosen Kontrollen unterzogen (die Wachmannschaft umfasste 23 Soldaten), weshalb die Wallfahrt fast zum Erliegen kam. Dies bedeutete enorme Einkommensverluste und brachte das Kloster an den Rand des Ruins. Erschwerend kam dazu, dass das Kaiserhaus zwar die Übernahme der Lebenshaltungskosten des Gefangenen und seiner Wächter zugesagt hatte (es standen letztlich 7000 Gulden zu Buche), diese Schulden aber erst nach 18 Jahren tilgte. Andererseits musste die Tafel für den Gefangenen – wie es in einem zeitgenössischen Dokument hieß - „sehr reichhaltig sein, damit der Herr Cardinal sich schwerlich zu beklagen nit ursach hat“. Hungerkur war der Georgenberg- Aufenthalt für den kirchlichen Würdenträger jedenfalls keine. Ihm und seinem Gefolge standen „mittags und nachts 10 oder 12 speisen zu“ und zwar „1 Henn in der Suppn, 1 Stuck Rindtsfleisch, 1 Castraun (kastrierter Widder) oder Kälbern Praten, 1 Prätl von einem Lämpl, Pratne Hühner oder Vögel, Carminaden (Koteletten) oder Spißlein, Nachts dafür von einer Häpen (Schinken) ein Speiß oder Picädl (kleine, dünne Scheiben von Kalbfleisch oder Leber), 2 Eingemachte, ains von Castraunen und das andere von einem Lampfleisch, Reiß, Kraut, Arditschoppen (Artischoken), grüne Arbesen (Erbsen) oder von andern obß (Obst) ain Spaiß, Nachts die zugehörigen Salat. In der Wochen zwaimal aus der Pacherei ein warmes Pastetl oder andere Speiß“. *) Überdies trank Khlesl viel Wein von bester Qualität – Hunger und Durst hat er also nicht gelitten, der hochwohlgeborene Gefangene, dessen Bild im Refektorium von St. Georgenberg zu bewundern ist.

UND WIE
WURDE AUS DEM
Berg- ein Talkloster?

Und wie wurde aus dem Berg- ein Talkloster? Nach einem neuerlichen Brand im Jahre 1705 und wegen der ständigen Lawinengefahr übersiedelte die Klostergemeinschaft ins Tal nach Fiecht. Bereits 1725 wurde allerdings das Gnadenbild der schmerzhaften Mutter wieder auf den heiligen Berg rückübertragen, wo aus den Ruinen ein Wallfahrtshospiz entstand. Von der einstigen Abtei ist noch das sehenswerte Refektorium mit Stuckaturen und das Prälatenzimmer erhalten. Im Erdgeschoss befindet sich ein Restaurant mit großem Gastgarten. Die Gewölbe der Kirche zieren zwei große und mehrere kleine Fresken im Nazarenerstil, die im Jahr 1863 von Franz Lair geschaffen wurden. Künstlerisch und für die Wallfahrt bedeutend ist vor allem der Hochaltar aus dem 18. Jahrhundert, in den das geschnitzte Gnadenbild der Schmerzensmutter von 1415 integriert ist. Die seitlichen Figuren des hl. Jakobus und des sel. Rathold sowie den Altaraufbau mit den sieben Schmerzen Mariens und dem Tabernakel schnitzte der berühmte Franz Xaver Nissl (1731–1804) aus Fügen im Zillertal. Der Turm aus dem 17. Jhdt. hat zwei romanische Untergeschosse mit Kopfkonsolen. Der treppenartige Abschluss stammt aus dem Jahre 1866. Am Fuße des Felsens, auf dem weithin sichtbar das Wallfahrtsensemble thront, vereinen sich der Stallenbach und der Georgenberger Bach zum Staner Bach. Der Stallenbach entspringt im Stallental, in welches ein leicht gehbarer Wanderweg führt (konditionsstarke Marschierer können weiter zur Lamsenhütte und – vorbei an der Binsalm – in die Engalm wandern). Am Weg ins Stallental passiert man die Bärenrast, die an den Abschuss des letzten Nordtiroler Bärens am 14. Mai 1898 erinnert. Da Meister Petz in den vorangegangenen Jahren mehrmals gesichtet wurde, wird in der Ausgabe vom 24. Mai 1897 des „Boten für Tirol“ empfohlen, dass St. Georgenberg-Pilger außer dem Rosenkranz auch einen Schießprügel mit sich führen sollten…. Schießprügel führte logischerweise jene von Constantin Graf Thun-Hohenstein angeführte Jagdgesellschaft mit, die am besagten 14. Mai 1898 diesem letzten Nordtiroler Bären das Lebenslicht ausblies. Als Treiber war damals auch Johann Lindebner (geb. 1878) aus Stans mit von der Partie. Der „Obal Hansal“, wie ihn die Einheimischen nannten, war ein Flunkerer, der dem Lügenbaron Münchhausen das Wasser gereicht hätte. Nach dem Bärenabschuss schilderte er drastisch, wie er plötzlich dem Bären Aug in Aug gegenüberstanden sei. Auf die gespannte Frage, was dann passiert sei, zögerte der Hansal nicht lange und antwortete wie aus der Pistole geschossen: „G’fress’n hot er mi!“ Er hat den Bären um 63 Jahre überlebt…

@ Peter Hörhager